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Studie: E-Zigarette verursacht Krebs

Von Mäusen, Kübelwagen und Zucchini

Die National Academy of Science veröffentlichte auf ihrer Plattform am Montag eine Studie, die angeblich ein Krebsrisiko durch E-Zigaretten zeigt. Seit gestern sind entsprechende Meldungen auch in deutschsprachigen Medien zu finden.
Doch diese Studie stützt nicht das, was die Wissenschaftler behaupten. Und noch weniger, was die Medien daraus machen.
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Die drei Forscher Hyun-Wook Lee, Sung-Hyun Park und Mao-wen Wenig von der New York University School of Medicine hatten bereits Mitte Oktober eine Studie bei der PNAS, dem Fachjournal der National Academy of Science eingereicht. Diese wurde nun am Montag veröffentlicht.

Mit dieser Studie behaupten die Forscher zu belegen, dass E-Zigaretten die DNA von Zellen schädigt. Der vollständige Titel lautet „E-cigarette smoke damages DNA and reduces repair activity in mouse lung, heart, and bladder as well as in human lung and bladder cells“. (E-Zigarettenrauch beschädigt DNA und reduziert Reparaturaktivität in Mäuselunge, -herz und -blase ebenso wie in menschlichen Lungen- und Blasenzellen.)

Ungenauigkeit schon im Titel

Dem erfahrenen Dampfer wird bereits bei der Überschrift eine Ungenauigkeit auffallen, die von den Medien weiterverbreitet wird. Denn hier wird von Smoke, also Rauch gesprochen. E-Zigaretten produzieren jedoch keinen Rauch, sondern Dampf (Vape).
Diese Unterscheidung ist im Englischen noch schärfer und längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.

Im üblichen Sprachgebrauch mag dies als Spitzfindigkeit erscheinen. Wenn jedoch Wissenschaftler diesen falschen Terminus sogar in der Überschrift (wie auch in der kompletten Studie) verwenden, legt das doch nah, dass sie sich überhaupt nicht mit der Technik der E-Zigarette befasst haben.
Das zeigt dann auch die Veröffentlichung sehr deutlich, wenn man sich den Versuchsaufbau anschaut.

Ergebnis kaum übertragbar

Um die Folgen des Dampfes nun also zu testen wurden Mäuse untersucht. Diese wurden fünf Tage in der Woche jeweils drei Stunden täglich für drei Monate dem Dampf aus einer E-Zigarette ausgesetzt.
Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass dies dem regelmäßigen Gebrauch einer E-Zigarette eines Menschen gleich kommt.

New York University School of Medicine
Die New York University School of Medicine

Nun sind die Wissenschaftler selber Ärzte. Sie müssten wissen, dass eine solche Zeitraffer Aufnahme keineswegs so leicht zu übertragen ist.
Der menschliche Körper verfügt über enorme Abwehrkräfte. Beispielsweise werden Schadstoffe aus der Lunge unter anderem abgehustet und geschluckt, wodurch sie dann durch den Verdauungsprozess vernichtet werden.
Mit zunehmenden Alter lassen diese Abwehrkräfte und Funktionen nach. Und mit dem Nachlassen kommt es dann zur Schädigung der Zellen und zum Krebs. Bis zum 45. Lebensjahr ist das Krebsrisiko relativ gering und geht dann exponentiell nach oben. Erst dann werden die Folgen von jahrelangem Tabakkonsum sichtbar.

Mäuse haben diese Abwehrmechanismen nicht in dem Ausmaß. Die Lebenserwartung liegt bei zwei bis drei Jahren. Die Evolution hat es nicht vorgesehen, dass Mäuse besonders alt werden. Solche Spezies gleichen das durch eine hohe und schnelle Reproduktionsrate aus.
Genau deshalb werden sie gerne für solche Laborversuche genutzt. Weil sie sehr früh Folgen erkennen lassen können. Übertragbar ist das dadurch aber noch lange nicht.
Man sollte sich dazu vielleicht auch vergegenwärtigen, dass diese Tiere im Versuch dem Dampf dauerhaft ausgesetzt waren.

Dampf ist nicht gleich Dampf

Ein sehr viel entscheidenderer Faktor kommt jedoch hinzu. Nämlich wie der Dampf gewonnen wurde.
Dazu muss man grundlegend verstehen, was jedem Dampfer nach kürzester Zeit klar ist: Dampf ist nicht gleich Dampf. Es ist kein Tabakrauch, der vergleichsweise konstant ist.
Darüber hinaus kann eine E-Zigarette sehr leicht falsch betrieben werden. Wenn der Liquid Nachfluss abreißt kommt es zu einem Kokeln der Watte. Dadurch werden Schadstoffe produziert, die über dem liegen, was Dampfer üblicherweise inhalieren. Es führt zu einem sofortigen Hustenanfall, da der Geschmack und der so genannte Throat Hit unerträglich sind.
Ein solcher Dry Hit ist zu vergleichen mit einem völlig verbrannten Toast. Niemand nimmt so etwas zu sich, es ist also auch einigermaßen unsinnig so etwas zu untersuchen.

Kokelstudien und Smoking Machines

E-Zigarette
Finden auch bei E-Zigaretten Verwendung: Smoking Machines

Nun stehen Wissenschaftler aber vor einem Dilemma. Denn sie müssen den Dampf für ihre Versuche ja irgendwie gewinnen.
Dazu nutzen sie dann üblicherweise Smoking Machines, wie sie auch für Tabak Zigaretten verwendet werden. Diese Maschinen ziehen automatisch den Dampf aus dem Versuchsobjekt.
Doch eine Maschine bemerkt nicht, wenn der Liquid Nachfluss abreißt. Sie zieht einfach weiter.
Es gibt bisher sehr wenige Studien, die diesen Umstand bedacht haben. Dabei wäre es recht einfach, die E-Zigarette müsste nur im Temperatur Modus betrieben werden. Das ist den Wissenschaftlern aber ganz offenbar nicht bekannt.
Mit den Smoking Machines hat der Wissenschaftler also keinerlei Kontrolle darüber, welche Qualität der Dampf hat, den er untersuchen will.

Diese Studien werden bei Dampfern inzwischen als Kokelstudien bezeichnet. Weil es ein immer wiederkehrendes Problem ist.
Eine derartige Nachlässigkeit in einer wissenschaftlichen Studie würde in keinem anderen Forschungsbericht toleriert werden. Im Bereich der E-Zigarette ist es jedoch seit einem Jahrzehnt Standard, denn die Forscher setzen sich nicht damit auseinander.




Die Forscher der New York University beweisen in ihrem Versuch sehr eindrücklich, dass sie sich tatsächlich überhaupt nicht mit der Materie auseinander gesetzt haben, die sie auf hohem Niveau zu untersuchen glaubten.
An dieser Stelle sei an die Ungenauigkeit in der Überschrift und der ganzen Arbeit erinnert, die von Rauch anstatt von Dampf spricht.

Überaltetes Gerät der ersten Generation

Der Njoy Vape Pen mit Einweg Verdampfer

Um Dampf zu gewinnen nutzten die Forscher auch in New York eine solche Smoking Machine. Als E-Zigarette wurde der Top Fill Tank der Firma Njoy genutzt. Dass sie dies so explizit angeben ist bereits eine löbliche Ausnahme bei diesen Studien, allerdings auch ein Offenbarungseid.
Dampfern wird auffallen, dass „Top Fill Tank“ eigentlich kein Modell ist. Sondern ein Typ von Verdampfer, ähnlich wie man von Mittelklassewagen, Wohnmobilen und Motorrädern spricht. Diese Bezeichnung gibt lediglich wieder, dass es sich um einen nachfüllbaren Verdampfer handelt, der von oben befüllt werden kann.

Eine kurze Recherche zeigt, dass es dieses Modell tatsächlich von der Firma gibt. Und dass es gar keinen Namen oder genauere Bezeichnung hat.
Es handelt sich hierbei um Einwegprodukte, die üblicherweise mit dem Starterkit „Vaping Pen“ verkauft und genutzt werden. Das Gerät ist zwar nachfüllbar, der Heizdraht kann jedoch nicht ausgetauscht werden. Es ist ein Hybrid aus der ersten und zweiten Generation von Geräten.
Dieser Vape Pen ist seit mindestens 2014 auf dem Markt. Nicht einmal auf der Homepage des Herstellers wird er noch beworben.

Ungenaue Angaben zum Gerät

Njoy wurde bereits 2006 gegründet. Das amerikanische Unternehmen gehörte damit zu den ersten auf dem Markt und den ersten Herstellern außerhalb Chinas.
Allerdings hat es nie geschafft mit der Entwicklung der E-Zigarette Schritt zu halten. Man hat sich auf die Produktion solcher Einweggeräte spezialisiert. Diese werden vor allem in Supermärkten und Tankstellen verkauft. Kein spezialisierter Vape Shop führt diese Produkte, in Europa ist die Marke am Markt völlig irrelevant.
Um es erneut anhand von Autos zu erklären: In einer Spannbreite von modernen Rolls Royce Limousinen bis zu Ford T wurde hier ein VW Kübelwagen herangezogen, um eine Aussage über heutige Autos treffen zu können.
Um das zu begründen bezieht man sich in der Studie einfach auf eine Arbeit aus dem Jahr 2016, in der das ebenso gemacht wurde.

E-Zigarette
Auch in deutschen Supermärkten erhältlich: Die Starter Kits mit Einweg E-Zigaretten von Njoy

Der für den Dampf und Beheizung primär wichtige Wert des Widerstandes wurde in der Studie nicht angegeben. Es ist weder angegeben, aus welchem Material der Heizwendel besteht. Der im Zweifelsfall ja bei Überhitzung Schadstoffe abgeben kann. Noch genau wie stark er befeuert wurde.
In der Studie wird zwar angegeben, der Verdampfer sei mit einer „eingestellten“ Leistung von 4,7V befeuert worden. Doch erstens kann man an dem ursprünglichen Akku des Geräts gar nichts einstellen. Und Zweitens ist doch, selbst wenn man einen anderen Akkuträger verwendet hat, fraglich, wie man auf diese 4,7 Volt gekommen ist. Denn ohne Angabe des Widerstandes ist diese Angabe vollkommen nichtssagend. Die Stärke der Leistung ist abhängig von dem Widerstand.
Im Übrigen findet sich auch nirgendwo sonst eine Angabe über den Widerstand dieser Wegwerfgeräte. Auch nicht beim Hersteller.

Und diese Kleingeräte wurden dann in Zugintervallen von 4 Sekunden befeuert.

Glaubwürdigkeit der Studie unabhängig vom Ergebnis

Man muss sich also gar nicht die medizinischen Ergebnisse der Untersuchung anschauen, um die Glaubwürdigkeit dieser Ergebnisse bewerten zu können.

  • Die Studie sagt nichts über den tatsächlichen Gebrauch von E-Zigaretten bei Menschen aus. Die gezogenen Samples entsprechen nicht dem, was Konsumenten inhalieren.
  • Die Studie sagt nichts über die Schädlichkeit des Dampfes aus, weil dieser offensichtlich nicht sachgerecht gewonnen wurde.
  • Die Studie sagt nichts über ein Krebsrisiko bei Menschen aus. Es wurden Zellreaktionen bei Mäusen untersucht, die unter sehr speziellen Laborbedingungen eine DNA Veränderung zeigten.
  • Die Studie trifft keine Aussage zu einem Vergleich zwischen E-Zigaretten und Tabak Zigaretten.
  • Die Studie geht fahrlässig mit relevanten Begriffen um.
  • Die sehr wichtige Gewinnung der Samples wurde vernachlässigt. Es wurden überaltete und billige Produkte verwendet.

Die Presse hat diese Meldung natürlich begierig aufgenommen. Als erstes berichtete der Guardian darüber. Inzwischen finden sich jedoch auch Berichte bei der Huffpost und Telepolis.
Der Feuilletonist Müller-Jung macht bei der FAZ gar einen „jüngsten Schock“ aus. Obwohl auch er mit vielen Konjunktiven arbeiten muss.
(Verehrte FAZ: „Krebsverdacht bei E-Zigaretten“ bedeutet, dass die E-Zigaretten vielleicht Krebs haben.)

Diese Reaktionen haben sogar gestern die große und hoch angesehene Organisation Cancer Research UK veranlasst, einen Bericht als Gegendarstellung zu veröffentlichen.

„Die Forscher […] haben untersucht, wie Dampf von E-Zigaretten die DNA von Mäusen und menschlicher Zellen in einer Petrischale beeinflusst.
Sie haben nicht danach geschaut, wie es Menschen beeinflusst. Und sie haben es nicht mit Rauchen verglichen.
Die Forscher haben sich darauf konzentriert, wie Komponenten von E-Zigaretten Dampf die DNA von Zellen beschädigt. Und DNA Beschädigung steigert das Risiko von Krebs. Aber sie haben nicht direkt danach geschaut ob E-Zigaretten Krebs verursachen, weder bei Mäusen noch bei Menschen.“
Cancer Research UK, 30.01.2018


EDIT, 11:54h: Selbst die üblichen Gegner der E-Zigarette äußern sich inzwischen. Das Hamburger Abendblatt hat soeben einen kritischen Artikel zu der Studie veröffentlich. In diesem wird Frau Dr. Ute Mons, die Leiterin der WHO-Kollaborationsstelle und Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum zitiert.

„Bezüglich der Übertragbarkeit der Ergebnisse dieser Maus-Studie für Menschen bin ich allerdings sehr skeptisch. […] Interessant wäre es daher gewesen, wenn die Studie zusätzlich zu den unbehandelten Kontrollmäusen eine Gruppe von Mäusen verglichen hätte, die Tabakrauch ausgesetzt wurde. […] Die vorliegende Studie kann hierzu leider nichts beitragen.“
Dr. Ute Mons, Leiterin WHO Kollaborationsstelle am DKFZ, Hamburger Abendblatt, 31.01.2018


 

Ein Beispiel zur Verdeutlichung

Verdeutlichen wir uns an einem Beispiel, was hier passiert ist.

Zucchini sind aus Kürbissen gezüchtete Früchte. Wie Kürbisse enthalten sie Bitterstoffe, die den Magen-Darm-Trakt des Menschen massiv angreifen können. Diese Bitterstoffe sind jedoch herausgezüchtet worden.
Bei so genannten Rückzüchtungen kann es zu einem erhöhten Auftreten dieser Bitterstoffe kommen. Vor zwei Jahren war ein Rentner gestorben, weil er die eigenen Rückzüchtungen trotz sehr bitteren Geschmacks verzehrt hatte.

Alle Zucchini machen Krebs!

Die Forscher der Universität in New York sind nun hingegangen und haben Mäusen solche rückgezüchteten Zucchini zu fressen gegeben, die eigentlich kein Mensch essen würde. Dann haben sie die Tiere aufgeschnitten um zu sehen, ob die Bitterstoffe die Zellen beschädigt haben. Weiterhin haben sie menschliche Zellen in der Petrischale (in vitro) mit einem Mus aus Bitterstoffen malträtiert und geschaut wie lange es dauert, bis diese geschädigt sind.

Daraus schlussfolgerten sie, dass absolut alle Zucchini die DNA beschädigen. Grundsätzlich nahmen sie richtigerweise theoretisch an, dass geschädigte DNA prinzipiell das Krebsrisiko erhöht. Was aber nichts über ein tatsächliches Risiko beim Menschen aussagt. Weshalb sie darauf hinweisen, dass weitere Forschung nötig ist.
Die Medien greifen dies nun auf und erklären ihren Lesern, dass alle Zucchini Krebs verursachen.

Und irgendwo sitzt ein dicker Junge in einem Fastfood Restaurant und isst noch einen Burger. Denn er hat keinen Grund Gemüse zu essen, wenn das auch Krebs macht.

Zeitpunkt der Veröffentlichung interessant

Interessant ist die zeitliche Nähe der Veröffentlichung zu der sechshundert Seiten starken und von der FDA beauftragten Metastudie der National Academy of Science, die in der letzten Woche heraus kam.
In Ihr kommt die Akademie zu dem Schluss, dass Dampfen zwar weniger Risiko mit sich bringt. Aber Jugendliche durch die Zigarette zum Tabak verleitet werden und es darüber hinaus keinen Beweis gäbe, dass die E-Zigarette beim Rauchstopp hilf.

In den USA findet gerade der Entscheidungsprozess statt, wie die Food and Drug Administration die E-Zigarette weiter regulieren soll.
Alleine in der letzten Woche gingen drei Verfahren vor Gericht in denen Verbände und Händler gegen die bisherigen Regulierungen klagen.


Artikel der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/wissen/krebsverdacht-bei-e-zigaretten-15424168.html
Artikel von Cancer Research: http://scienceblog.cancerresearchuk.org/2018/01/30/headlines-saying-vaping-might-cause-cancer-are-wildly-misleading/
Veröffentlichung der Studie im Original: http://www.pnas.org/content/early/2018/01/25/1718185115
Artikel zu den aktuellen Vorgängen innerhalb der FDA: https://www.vapers.guru/2018/01/27/fda-neues-level-an-absurditaet-erreicht/

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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